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„Beziehungsgeschichten: Zwischen Liebe, Fürsorge und Konflikt. Ehen und Paarbeziehungen in Deutschland (1945–1990)“

Zusammenfassung


Ehen und Paarbeziehungen sind ein Ort, an dem sich zentrale Felder der Gesellschaft, Erwerbs- und Familienarbeit, Freizeit und Geschlechterbeziehungen treffen, sodass mit ihrer Untersuchung kulturelle, aber auch soziale Transformationen im Alltag beobachtet werden können. Im Zuge des Wandels in der Moderne verdrängte ihr Charakter als emotionale Paarbeziehung zunehmend die Ehe als Sakrament und als Vertrag, kurz als gesellschaftlich legitimierte und normierte sowie institutionalisierte Form des Zusammenlebens. Besonders im 20. Jahrhundert unterlagen Paarbeziehungen einem grundlegenden Wandel. Familie und Kinder wurden in der industrialisierten Welt zu einer wählbaren Option. Geschlechterverhältnisse egalisierten sich. Das bürgerliche Ideal der Liebesehe wurde schichtübergreifend zur Norm.


In der historischen Forschung werden Paarbeziehungen allerdings zumeist von außen betrachtet, unabhängig davon, ob es um sozialstatistische Entwicklungen geht, um die Ehe als Institution, um den Liebesdiskurs, um Familienpolitik oder um die Sicht von Experten und Expertinnen. Ehe als Paarbeziehung bleibt dagegen unterbelichtet, weshalb die Entstehung des modernen Verständnisses von Ehe nur unzureichend erfasst wird. Hier setzt das Projekt an: Es wird konsequent eine Binnenperspektive verfolgen und diese vor dem Hintergrund der bereits bekannten demographischen, institutionellen, politischen und normativen Veränderungen in Ehen untersuchen. Im Fokus stehen die radikalen Veränderungen von Ehe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit der Untersuchung von Ehen und Paarbeziehungen in BRD und DDR wird die Frage nach einer gemeinsamen deutschen Ehekultur und nach der lebensweltlichen Transformation jenseits der politischen Systeme analysiert. Damit wird die auf die BRD fokussierte zeithistorische Debatte zur Periodisierung des gesellschaftlichen Wandels erweitert und das Interesse an blockübergreifenden Perspektiven auf die Nachkriegsgeschichte aufgegriffen. In einer langen Perspektive sollen Eigendynamiken und Entwicklungen auf der Ebene der Paare verdeutlicht sowie das Zusammenspiel der Mikro-, Meso- und Makroebene untersucht werden, um Kausalitäten der Veränderung sowie Gestaltungsspielräume der Paare herauszuarbeiten, die in politik-, rechts- oder diskursgeschichtlichen sowie sozialstatistischen Ansätzen nicht in den Blick genommen werden.


Ausgehend von Krisensituationen, wie sie sich in Egodokumenten, rückblickend in Interviews und im sich konsolidierenden Beratungsfeld (Ratgeberkolumnen, Ratgeberliteratur und Beratungsinstitutionen) niederschlugen, werden Konzepte von Paarbeziehungen, Alltagsorganisation, Freizeitgestaltung, konkrete Konfliktaustragungen sowie Geschlechterverhältnisse im Kontext des Wandels von Politik und Gesellschaft untersucht. Auf der Grundlage des Konzepts der Lebensführung, in einer Mischung aus Alltagsgeschichte und Diskursanalyse sollen Ehen so als Aushandlungsort analysiert und Kulturen von Paarbeziehungen herausgearbeitet werden.

 

Stand: September 2019