Neueste Geschichte und Zeitgeschichte
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Rückblick zur Vortragsreihe GLOBALGESCHICHTE im Wintersemester 2017/18

In den letzten Jahren hat sich die noch vergleichsweise junge Globalgeschichte fest im breiteren Feld der Geschichtswissenschaft etabliert. Auf diesem Hintergrund fragt die Vortragsreihe nach Standort und Blickwinkel der Globalgeschichte sowie nach ihrem spezifischen Beitrag zur Historiografie. Jedes Semester setzen sich drei bis vier Vortragende aus ihrer jeweiligen regionalen und/oder methodischen Warte und auf der Basis ihrer eigenen Forschung mit dieser Frage auseinander.

 

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Mit einer anregenden These eröffnete Madeleine Herren-Oesch (Basel) die neue Vortragsreihe zur Globalgeschichte am Historischen Seminar der LMU.

Man müsse die Geschichte der 20. Jahrhunderts nicht nur als (ökonomische) Verflechtungsgeschichte, sondern auch als Geschichte erzwungener Entflechtungen erzählen. Am Beispiel globaler Repatriierungen während des Zweiten Weltkriegs verdeutlichte der Vortrag die Zwänge zur Territorialisierung von Identität in der "Ära der Pässe". Mobile Gesellschaften waren im 20. Jahrhundert Homogenisierungsbestrebungen, mobile Akteure Umsiedelungen und der Verpflichtung zur Sesshaftigkeit ausgesetzt.

In der Diskussion untermauerte Herren-Oesch diese These und unterstrich, dass eine solche erzwungene Entflechtung als Signum des gesamten Jahrhunderts bis in die Gegenwart gesehen werden müsse. Damit machte sie auch deutlich, wie wichtig es für die Globalgeschichte ist, gerade auch das Zusammenspiel von Mobilität und Sesshaftigkeit, von Verbindungen und Nicht-Verbindungen in den Blick zu nehmen.

 

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Mit einer Vorstellung seines aktuellen Buchprojekts führte Benedikt Stuchtey (Marburg) die Vortragsreihe zur Globalgeschichte fort.

In seinem Projekt versucht Stuchtey sich der Geschichte des europäischen Kolonialismus und der Frage nach dem spezifisch Europäischen mittels historischer Gebrauchsgegenstände zu nähern. Nach einer kurzen Einführung zur Bedeutung von Objekten und Gegenständlichem in heutigen und historischen Gesellschaften sowie dem Material Turn in der Geschichtswissenschaft stellte Stuchtey anschaulich einige der untersuchten Objekte vor: Münzen etwa, die als Ausdruck des britischen Herrschaftsanspruchs Tag für Tag im Empire kursierten, oder eine Teetasse mit dem Konterfei der Königin, aus der allmorgendlich asiatischer Tee mit Zucker aus der Karibik konsumiert wurde. Konsumgüter, so Stuchtey, fungierten als "mobile Brücke" zwischen kolonialem "Zentrum" und kolonialer "Peripherie".

Die angeregte Diskussion richtete sich vor allem auf die möglichen Kategorisierungen der untersuchten Gegenstände sowie auf deren Bedeutung für die Schaffung oder Sichtbarmachung von Verbindungen und zeigte so die Vielfalt möglicher Anknüpfungspunkte auf.

 


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Nach Benedikt Stuchtey thematisierte auch Giorgio Riello (Warwick) im dritten Vortrag im Wintersemester das Potential des Material Turn für die Globalgeschichte.

Im Fokus von Riellos Vortrag standen Trachtenbücher (Custom Books) des späten 16. Jahrhunderts, die nicht nur europäische Kleidungsstile in ihren lokalen Ausprägungen typisierten, sondern zunehmend anstrebten, die ganze bekannte Welt abzubilden. Trachtenbücher machten damit laut Riello ein spezifisches "global imaginary" sichtbar. Durch die hierarchisierende Nebeneinanderstellung europäischer, asiatischer, afrikanischer und zunehmend auch amerikanischer Trachten in den Custom Books entstand die Welt als ein Mosaik verschiedener, durch Kleidung und Posen spezifizierter aber dennoch vergleichbarer Lokalitäten.

Die anschließende Diskussion setzte sich vertiefend mit den in den Trachtenbüchern vermittelten Weltbildern auseinander, die sich gerade durch eine Betonung des lokal Besonderen und die Negierung von Verbindungen oder Kreolisierung auszeichneten.


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Im letzten Vortrags des Wintersemesters adressierte Ulrike Freitag (Berlin) die Frage des lokalen Umgangs mit translokaler Mobilität am Beispiel der islamischen Pilgerfahrt, der Haddsch.

Detailliert analysierte Freitag, wie die Hafenstadt Dschidda am Roten Meer im 19. Jahrhundert zum Eingangstor für Pilger aus aller Welt für das rund 70 Kilometer landeinwärts gelegene Mekka wurde. Im Konzept des "religiösen Tourismus" fasste sie, was sie als widerspruchsfreies Nebeneinander einer religiös geprägten Gastfreundschaft und der Kommerzialisierung der Haddsch analysierte. Darüber hinaus konnten längere Aufenthalte auch in dauerhafte Ansiedelungen übergehen: Die Grenzen zwischen Reisen und Migration verschwammen.

Die angeregte Diskussion setzte sich vertieft mit der spezifischen in Dschidda praktizierten Empfangskultur auseinander. Freitag konnte hier verdeutlichen, wie gerade die Erforschung solcher, zunächst fremd erscheinender lokaler Umgangsformen mit Mobilität unser diesbezügliches konzeptuelles Repertoire zu bereichern vermag.