Neueste Geschichte und Zeitgeschichte
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Das Land. Eine Problematisierungsgeschichte

Buchprojekt - PD Dr. Anette Schlimm

Das Land. Eine Problematisierungsgeschichte (Arbeitstitel) (Zeitgeschichte im Gespräch), Berlin: Metropol 2022 (in Vorbereitung)


In Brandenburg, so der deutsche Kabarettist Rainald Grebe in einem seiner erfolgreichsten Lieder, „stehen 3 Nazis auf dem Hügel und finden keinen zum Verprügeln“. Im kleinen verschlafenen Örtchen Ebbing im US-Bundesstaat Missouri sind die sozialen Beziehungen und die staatlichen Strukturen gleichermaßen verkümmert, wie der OSCAR-prämierte Film Three Billboards outside Ebbing, Missouri im Jahr 2018 plastisch in Szene zu setzen vermochte. Und die Berichterstattung über die Brexit-Abstimmung von 2015 und ihr jahrelanges politisches Nachspiel hat einen fundamentalen Graben zwischen der weltoffenen internationalen Metropole London und dem englischen Hinterland, das sich Phantasien vom Wiederaufstieg des British Empire hingibt, vor Augen geführt. Das Land, so wissen diese medialen Erzählungen unterschiedlichster Couleur zu berichten, ist transatlantisch ein Problem, und das wird zunehmend zum Thema von Populärkultur, kritischem Journalismus und Sozialwissenschaften.

Das geplante Buch nimmt diese gegenwärtigen Problemdiagnosen zum Ausgangspunkt und fragt im Sinne einer Archäologie der Gegenwart danach, wie das Land im Verlaufe des 20. und frühen 21. Jahrhunderts zum Problem wurde. Welche historischen Wurzeln haben diese Problematisierungsweisen? Welchen historischen Wandlungen unterlagen die einzelnen Bestandteile des „Problems Land“? Und zu welchem Zeitpunkt haben sich diese sehr unterschiedlichen Problemdiagnosen zu einem mehr oder minder kohärenten Problem „Land“ zusammengefügt? Mit Hilfe der Problematisierungsgeschichte lässt sich ergründen, welche Dynamiken die Problemwerdung durchlaufen hat, welche regionalen und nationalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten die transatlantische, möglicherweise sogar globale Problematik „des Landes“ ausmachen und welche sprachlichen, medialen und epistemischen Bilder hinter dieser Problemdiagnose stehen. Zentrale These des Buches ist es, dass „das Land“ durch Problematisierungsweisen diskursiver Art hervorgebracht wird – was nicht gleichbedeutend damit ist, dass alle Probleme „des Landes“ lediglich konstruiert wären. Vielmehr setzen sich verschiedene Beobachtungen, Bilder mentaler und medialer Art sowie unausgesprochene Vorannahmen zu einem Problem zusammen, das dadurch kohärenter erscheint, als es ist. Dieser Hervorbringungsprozess muss kritisch und mit historischer Tiefenschärfe entschlüsselt werden – nicht zuletzt deshalb, weil nur so andere Umgangsweisen mit dem und Perspektiven auf das „Land“ ermöglicht werden.

Charakteristisch für die gegenwärtige Debatte um „das Land“ ist dabei die Verknüpfung von struktur- und sozialpolitischen, demographischen, ökologischen und demokratietheoretischen Versatzstücken, die jeweils für sich ihre eigene Geschichte in einem „langen“ 20. Jahrhundert haben. Das trägt dazu bei, dass eine sozialräumliche Differenz, so unscharf sie an vielen Punkten ist, zu einer sozialen und politischen Polarität ausbuchstabiert wird. Interessant erscheint jedoch, dass sich die verschiedenen Betrachtungsweisen auf das Land in den letzten gut hundert Jahren zum Teil inhaltlich verschoben, zum Teil fundamental gedreht haben.

Das Buch nimmt zentrale Akteur*innen der Problematisierungsweisen in den Blick, etwa Journalist*innen, Filmemacher*innen, Publizist*innen, Künstler*innen und Au-tor*innen, aber auch wissenschaftliche Expert*innen und Akteur*innen aus Politik und Verwaltung. Geographisch konzentriere ich mich auf Debatten in den USA, Großbritannien und Deutschland im „langen“ 20. Jahrhundert – was gelegentliche Seitenblicke in andere geographische Räume keinesfalls ausschließen soll.