Forum für Formfragen
Forum für Formfragen (FFFF)
Geschichte schreiben im 21. Jahrhundert
Prof. Dr. Achim Landwehr (Konstanz) und Dr. Sina Steglich (LMU)
Sollte es rhetorisch hilfreich sein, könnte eine Krise ausgerufen werden: die Krise der historiographischen Repräsentation. Da solche und ähnliche Alarmismen jedoch deutlich häufiger auftreten als eine durchschnittlich organisierte Aufmerksamkeitsökonomie zu verarbeiten vermag, kann man sich auch mit der eher schlichten Textgattung der These begnügen. Eine solche könnte lauten: Wenn veränderte Bedingungsgefüge auch veränderte Weltmodellierungen nach sich ziehen, und wenn diese Weltmodellierungen ebenfalls anderer Geschichten und Historiographien bedürfen, dann darf man den Eindruck haben, dass die Geschichtsschreibung auf diese Situation gegenwärtig nicht besonders gut vorbereitet ist.
Bedingungskonstellationen, wie sie beispielsweise unter dem Stichwort Anthropozän aktuell diskutiert werden, erfordern andere Weltmodellierungen. Dazu gehören unweigerlich auch Beschreibungen von Zeiten, in denen Welten sich denken lassen bzw. situiert werden.
Und hier zeigt sich möglicherweise eine echte Krise der historiographischen Repräsentation, weil Geschichtsschreibung vielfach immer noch mit Darstellungsmitteln arbeitet, die sie einem übergeordneten Diskurs der Moderne verdankt. Gerade dieser Diskurs hat aber wesentlich zu der (ökologischen) Situation beigetragen, die nun sowohl analysiert als auch verändert werden soll.
Mit anderen Worten: Die vielfach diskutierte Polykrise, von der die Klimakrise nur eine, wenn auch die wohl schwerwiegendste ist, beinhaltet auch kulturelle Aspekte. Denn im Moment scheint nicht klar zu sein, wie Kollektive sich sinnvoll über ihr eigenes Gemacht-worden-Sein verständigen können. Nur wie es nicht mehr geht, scheint klar zu sein, nämlich so, wie es bisher ging.
Die Geschichtswissenschaft als eine, wenn nicht die moderne Leitdisziplin betrifft dies in besonderer Weise. Denn sie ist in der Form, wie sie in Europa im 19. Jahrhundert methodisch kodifiziert worden ist, getragen von Linearität und dem eng damit verbundenen Imperativ der Narrativität. Kurz gesagt: Geschichtswissenschaft ordnet, wie es bereits Georg Simmel formuliert hat, das Nacheinander und bringt es in eine kommensurable Form qua Erzählung. Sie ebnet ein Mit-, Neben- oder auch Gegeneinander ein und bringt es in ein Nacheinander, das sinnhaft erscheint und zwar gerade, weil es linear (oder gar kausal) angelegt ist.
Beides, also sowohl die Linearität als Prämisse als vor allem auch das Format des Erzählens sind extrem voraussetzungsreich und erscheinen gerade deshalb gegenwärtig zunehmend als Herausforderung, wenn nicht als Problem, weil sich auf dieser Basis eben nicht mehr ausschließlich überzeugende Zugänge zu Vergangenheiten anbieten lassen.
Daraus ergibt sich unweigerlich die Frage, wie sich geschichtswissenschaftliche Erkenntnis generieren lässt, die im Ansatz nicht-linear angelegt ist, und in welche Formate sie gefasst werden könnte. Und wie lässt sich Geschichte im Kern anders denken und schreiben, ohne dass dies zur bloßen Formfrage wird? In Summe: Welche Formate eigneten sich, geschichtswissenschaftlich vergangene Welten auf eine Weise zu deuten, die anschlussfähig ist an unsere gegenwärtige?
Wie derartige formal-darstellerische Alternativen aussehen könnten, ist natürlich höchst fraglich. Genau hier setzt das Forum für Formfragen an und versteht sich als ein offenes, experimentell gestimmtes Laboratorium, in dem nicht zwangsläufig sofort die Lösung für solche Probleme gefunden werden muss, in dem aber Antwortmöglichkeiten ausprobiert werden.
Ein Workshop zur Diskussion dieser Fragen wird im Herbst 2025 stattfinden.